Boarding School Program - Erfahrungsbericht Kanada

Jesco besuchte das Pickering College in Ontario

Bevor die ersten Tage in einem fremden Land, in einer fremden Stadt und einer fremden Kultur beginnen, werden sich natürlich viele Gedanken gemacht. Man weiss, dass man Abschied vom alten, bekannten und manchmal auch zu vertrauten Leben nehmen muss. Freunde, Verwandte und natürlich die Eltern sagen mit mehr oder weniger schwerem Herzen Lebewohl, und man selber blickt einem ungewissem, aber (wie einem gesagt wird) ungemein lehrreichem, der Sprache, Kultur und Lebenserfahrungen wegen wichtigem, und aufregendem Jahr entgegen.

Nur mit Schulenglisch, Wörterbuch und ein bißchen Mut ausgestattet, macht man sich auf in die neue Welt, nicht wirklich wissend, was einen erwartet.

Und genau das traf nun dieses Jahr auf mich zu. Ich entschied mich für Pickering College in Kanada. Eine kleine, 400köpfige Schule mit drei Fußballplätzen, Eishockeyhalle und gutem Ruf.

Nachdem ich den 8-Stunden-Flug (von München über London nach Toronto) überstanden und per Navigationssystem nach Newmarket gefunden hatte, stand ich endlich mit etwas wackeligen Knien vor der Schule. Unglücklicherweise kam ich als einer der letzten an und blickte nun auf einen Rasen, voll mit lachenden und schwatzenden Kindern, die sich fast alle noch vom vorherigen Jahr kannten.

So war es in den ersten Tagen noch nicht leicht, Anschluss zu finden, doch man merkt bald, dass man nicht der Einzige ist, für den alles neu ist, und das Fremde vollkommen anders behandelt werden als in Deutschland, und das im vollkommen positiven Sinne. Besonders die Kanadier gehen ganz anders auf einen zu, als man das von zuhause gewöhnt ist. Sie sind allgemein freundlicher und hilfsbereiter, und man fühlt sich schnell als Mitglied der "community".

Der Stundenplan unterscheidet sich von dem in Deutschland in allen Bereichen. Es gibt 8 verschiedene Fächer (darunter auch Bürgerrechte und Business), eine Schulstunde dauert 80 Minuten und man hat 4 Fächer pro Tag, das heisst Schule bis 15:15 Uhr, dazwischen Mittagessen. Der Unterricht ist im wesentlichen nicht schwerer als der in Deutschland, es werden aber im allgemeinen mehr Hausaufgaben aufgegeben. Die zwei Stunden "study time" jeden Abend, in der man in seinem Zimmer sein und lernen soll, werden deshalb auch immer voll in Anspruch genommen. Außerdem wird hier so ziemlich jede abgegebene Hausaufgabe mit einer Note versehen und alle zwei Wochen bekommt man einen Zwischenstand mitgeteilt, bei dem man sieht, wo man steht, und ob die Leistungen im allgemeinen "nonsatisfactionary","satisfactionary" oder etwa "Honour" ersten oder zweiten Grades sind. Man ist also informierter, und meiner Meinung nach auch motivierter ob seiner Leistungen.

Ganz so sportorientiert, wie man immer hört, sind die Kanadier jetzt nicht. Zu den Ausscheidungen für das Fußballteam der Schule kamen gerade 22 Schüler und als Alternativen für den Nachmittag gibt es Tischtennis, Volleyball und Ausdauerlauf.

Interessant wird es, wenn zum Beispiel Fußballtrainer und Geschichtslehrer ein und dieselbe Person sind. So geht man im Unterricht auf einen Lehrer als Respektperson doch völlig anders zu, als auf jemanden, der dir die beste Angriffsstrategie beibringen will.

Die Frequenz und Lautstärke der Wutausbrüche waren jedoch in diesem Fall die gleichen.

Inwischen hab ich mich jetzt schon sehr gut eingelebt, und es gefällt vor allem deswegen, weil das Leben sich so vollkommen von dem in Deutschland unterscheidet, und mir so viele neue und wertvolle Erfahrungen bereitet.

Eines der wirklich positiven Dinge des kanadischen Privatschulsystems ist das Lehrer-Schüler-Verhältnis: man arbeitet auf einer sehr engen Vertrauensbasis; Unruhe oder eine zu laute Klasse kommen eher selten vor. Die Lehrer zeigen in den meisten Fällen, wie wichtig es ihnen ist, dass die Schüler in den Fächern nicht zurückbleiben, und falls doch, wird "extra-help" regelmäßig angeboten: man kann jederzeit zu einem Lehrer gehen, wenn man mit einer Note nicht einverstanden ist, und sollte auf keinen Fall still bleiben aus Angst, als unhöflich aufzufallen.

Interessant wird es hingegen, wenn man nach diesen Erfahrungen einen Lehrer bekommt, der als Austausch vom anderen Ende der Welt hereinschwirrt. So geschah es Anfang der zweiten Hälfte dieses Schuljahres, als sich unser kanadischer, sympathischer und kompetenter Mathelehrer entschied, für ein Jahr nach Australien zu gehen. Als Austausch bekamen wir einen Australier, und sogleich wurde der Kulturunterschied deutlich, sprich die Vertrauensbasis war dahin. Dieser Lehrer verlangt absolutes Stillschweigen, sobald er die Klasse betritt als auch beim Ertönen der Pausenglocke.

Diese rhetorische Fragestellung fände ich hier angebracht: Wie wird es umgekehrt wohl den australischen Schülern mit unserem Mathelehrer ergehen?

Meiner Meinung nach ist das wirklich nicht nötig, hatte es doch das erste Halbjahr problemlos ohne solche Regeln geklappt. So ist es nicht verwunderlich, dass der Klassendurchschnitt in Mathematik drastisch gesunken ist. Und wo der kanadische Lehrer noch geradezu darum gebettelt hatte, Nachhilfe zu geben (die auch jede Mittagspause stattfand), ist es jetzt nicht mehr so einfach, auf der Spur zu bleiben. Der extreme australische Akzent und das viel zu schnelle Sprechen machen den Unterricht nicht gerade einfacher. Der 37% Durchschnitt des letzten Tests verdeutlicht das.

Deshalb ist dieser Lehrer noch lange nicht total unsympathisch. Aber dennoch interessant zu beobachten, wie verschieden Menschen sein können, sobald sie aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammen.

Ansonsten hab ich in der Schule keine Probleme. Auch an die Tatsache, dass zwei Stunden für Hausaufgaben am Tag meist nicht reichen, hatte ich mich schnell gewöhnt.

Viele Dinge sind sowieso ganz anders. Das zu erfahren und zu lernen, damit umzugehen, ist meiner Meinung nach der wichtigste Aspekt, wenn man ins Ausland geht. Es sollte ein Anreiz für jeden sein, es zu versuchen.

Jesco

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