Boarding School Program - Erfahrungsbericht England

3,5 Monate, 14 Wochen – besser gesagt: Ein Term auf einem englischen Internat – Ein Erfahrungsbericht von Lea

Es gab große Zweifel in unserer Familie: "Nein, es ist doch viel zu gefährlich, dich zu irgendeiner wildfremden Familie da draußen zu schicken." "Aber Mama, es ist mein größter Wunsch, mein ewiger Traum, während der Schulzeit eine Abwechslung zu haben und ins Ausland zu gehen. Die Welt entdecken, eine neue Kultur kennen lernen und mein Englisch verbessern..." Doch die Zweifel meiner Eltern waren mit meinen anscheinend nicht allzu überzeugenden Überredungskünsten nicht aufgehoben. Bis schließlich mein Vater die rettende Idee auf den Tisch brachte: "Lea, dein Aufenthalt muss ja nicht zwangsweise in einer Familie sein. Hast du eigentlich schon mal darüber nachgedacht, wie es wäre, in einem englischen Internat zu leben?"

Da saß ich dann zwei Monate später in meinem kleinen, aber feinen Zimmer südwestlich von London im Lord Wandsworth College und mir war vollkommen unbewusst, dass mit dieser Entscheidung nun die schönste Zeit meines bisherigen Lebens beginnen sollte. Ich möchte ja nicht sagen, dass ich aufgeregt war, aber ich muss mir schon eingestehen, dass ich leichtes Bauchkribbeln hatte. Jedoch war dieses mit der Ankunft der anderen Mädchen in meinem Haus verschwunden. Die Stimmung war super und die Mädchen nett – was ich am Anfang allerdings nur durch ein Lächeln deuten konnte, da ich sie kaum verstanden habe. Sprechen konnte ich trotz des schrecklichen deutschen Akzents relativ gut, und wenn mir Wörter fehlten, haben Hände und Füße geholfen. An das Sprechtempo der Engländer musste ich mich allerdings zunächst einmal gewöhnen.

Um einen etwas klareren Eindruck meines Aufenthaltes gewinnen zu können, beschreibe ich nun einen typischen Tagesablauf. Frisch geduscht und mit ordentlicher Schulkleidung, so wie es sich in englischen Internaten gehört, habe ich um halb neun mit meinen Mädels im Gemeinschaftsraum gefrühstückt und wenn nötig noch die letzten Matheaufgaben gelöst. In der Oberstufe, so genannte 6th form, hat man durchschnittlich nur vier Fächer, diese aber besonders intensiv. An dieser Stelle kann ich nur empfehlen ein Fach zu wählen, in dem viel in Englisch geschrieben wird. Dies habe ich leider nicht gemacht und damit während meines Aufenthaltes kaum einen Satz Englisch aufs Papier gebracht. Für die Pausen und Abende gibt es ein 6th form centre, ausgestattet mit Billard, Kicker, Musikanlage, Computern und ganz vielen gemütlichen Sofas, in dem sich Oberstüfler aus allen Häusern aufhalten. Nach dem Unterricht gibt es typisches englisches Mittagessen, welches jedoch mit viel Ketchup immer gut geschmeckt hat. Wenn es keinen Nachmittagsunterricht gab, habe ich an manchen der tausend Angebote teilgenommen. Es gab Hockey, Rugby, Joggen, Fahrrad fahren, Tanzen, Aerobics, Segeln, Reiten, Volleyball, Tennis, Russisch, "Critical Thinking", Kanu fahren, Chor, Orchester, soziale Projekte und und und. Somit konnte ich also nicht um den Sport herumkommen und habe mit mehr oder weniger Erfolg am Volleyball, Joggen und Aerobic teilgenommen, habe aber auch den Denksport nicht ausgelassen und mutigerweise Russisch und "Critical Thinking" ausprobiert. Wie man sieht, meine Tage waren so ausgefüllt, dass ich nur noch höchstens einmal die Woche zwei Minuten Zeit hatte, zuhause anzurufen.

Nach dem Abendessen ist es Pflicht, mindestens eine Stunde auf dem Zimmer zu sein, um seine Hausaufgaben zu machen. Das hört sich nicht so toll an, jedoch war ich froh, dass es diese Verpflichtung gab, denn sonst wäre ich mit meinen Hausaufgaben gar nicht mehr hinterhergekommen. Um neun waren wir dann alle erlöst, und es war uns Oberstüflern erlaubt ins 6th form centre zu gehen, wo sich abends alle Häuser treffen. Dies war trotz des anstrengenden Tages die beste Zeit, denn es wurde laut Musik gespielt, sich unterhalten, Billard und Kicker gespielt – und mit den gut durchtrainierten Rugbyspielern war es natürlich umso schöner. Wichtig war es pünktlich wieder zurück zu sein, und um elf durfte ich das Zimmer nicht mehr verlassen.

Doch nicht nur die Wochentage waren vollkommen ausgebucht, auch an den Wochenenden gab es jede Menge Aktionen. Samstagmorgen mussten wir zwar alle noch die Schulbank drücken, doch nachmittags gab es immer Rugby- und Hockeyspiele, die ich mir mit meinen Freundinnen liebend gerne angeschaut habe. Unsere Schule hat gegen "Auswärtige" gespielt und glücklicherweise –bestimmt größtenteils wegen unserer Anfeuerungsrufe – gewonnen. Einige haben jetzt wahrscheinlich daraus geschlossen, dass ich nicht in einem Hockeyteam war. Das lag zur Erklärung daran, dass ich bei den Elfjährigen hätte einsteigen müssen, da der Sport sehr professionell betrieben wurde. Wie dem auch sei, nach den Wettkämpfen bin ich entweder mit zu Freunden nach Hause gefahren, oder ich bin mit den "international students" im Internat geblieben. Sonntags wurde immer ein Bus organisiert, der alle, die mitfahren wollten, in eine größere Stadt gebracht hat. Diese Aktionen habe ich immer wahrgenommen und konnte somit auch viel von England sehen. Wir haben z. B. Winchester, Basingstoke, Reading und natürlich – nicht zu vergessen – London gesehen.

Insgesamt kann ich nur sagen, dass sich ein Auslandsaufenthalt unglaublich lohnt! Ich habe in meiner deutschen Schule fast nichts verpasst und konnte das Bisschen über die Weihnachtsferien super schnell wieder aufholen und mein Englisch ist viel besser geworden. Aber es ist nicht nur das Englisch, welches verbessert wird, man wird erheblich selbstbewusster und offener für neue Situationen. Natürlich bin ich durch diese Zeit nicht "erwachsen geworden" oder habe mich zu einem neuen Menschen entwickelt. Nein, der Charakter bleibt der gleiche. Aber, wie man so schön sagt, ich habe meinen Horizont erweitert.

An alle, die zweifeln:
Seid stark, überwindet euren inneren Schweinehund und probiert es aus!

Erfahrungsbericht England